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Die Schweiz setzt sich weiterhin für multilaterale Lösungen und für die Erweiterung und Erneuerung ihres Netzes von Freihandelsabkommen ein
von Frédéric Lelièvre

Helene Budliger Artieda, seit 1. August 2022 Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), war zuvor als Schweizer Botschafterin in Thailand und in Südafrika tätig. Die Diplomatin aus Zürich war zudem in der Exportförderung engagiert. Im Februar 2023 leitete sie die Schweizer Delegation beim Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Dubai. Sie hat unsere Fragen schriftlich beantwortet.

Frage: Ein Ziel der Aussenwirtschaftspolitik des SECO ist ein «rechtlich abgesicherter und möglichst weitreichender Zugang zu internationalen Märkten». Aufgrund der Sanktionen des Westens gegen Russland oder jenen zwischen den USA und China sind die Handelsfronten jedoch angespannt. Wohin entwickelt sich Ihrer Meinung nach die Globalisierung?

Antwort: Die Schweiz bewegt sich in einem zunehmend von der Geopolitik geprägten Umfeld. Dazu gehören auch die Bestrebungen der Grossmächte, die Handelsströme in gewissen Tätigkeiten oder Branchen zu beeinflussen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese Bestrebungen Erfolg haben werden. Bisherige Analysen weisen etwa darauf hin, dass die Verminderung der Abhängigkeiten der USA von China zu neuen indirekten Abhängigkeiten geführt haben. Für eine offene Volkswirtschaft mit einem relativ bescheidenen Binnenmarkt wie die Schweiz ist der Erhalt eines auf Regeln gründenden internationalen Handelssystems unerlässlich. So setzt sich die Schweiz weiterhin für multilaterale Lösungen und für die Erweiterung und Erneuerung ihres Netzes von Freihandelsabkommen ein. Zusammen mit ihren engsten Handelspartnern engagiert sich die Schweiz auch in neuen internationalen Initiativen wie dem Joint Statement on Cooperation on Global Supply Chains zur Gewährleistung sicherer Versorgungsketten.

Frage: Steigt für die Schweiz dadurch die Bedeutung der bilateralen Abkommen? Verhandlungen mit Indien (im Rahmen der EFTA) laufen, jene mit Vietnam könnten dieses Jahr zum Abschluss kommen und die Aktualisierung des Abkommens mit China wurde in Angriff genommen.

Antwort: In diesen Zeiten zunehmender geopolitischer Spannungen und einer Verlangsamung des weltweiten Wirtschaftswachstums gewinnen die Freihandelsabkommen (FHA) weiter an Bedeutung. Sie eröffnen neue Märkte und erlauben eine Diversifizierung der Wertschöpfungsketten, was die Resilienz unserer Wirtschaft stärkt. Wir sind daher zurzeit sehr aktiv bei der Verhandlung neuer FHA und der Modernisierung der ältesten Abkommen. Das Verfahren mit Indien hat uns in letzter Zeit stark beschäftigt und wir stehen kurz vor dem Abschluss. Ein Abkommen mit dem bevölkerungsreichsten Land der Welt würde unserer Wirtschaft bedeutende Möglichkeiten eröffnen und einen Meilenstein unserer Aussenwirtschaftspolitik darstellen. Im Rahmen der EFTA laufen zudem Verhandlungen mit Kosovo, Malaysia, dem Mercosur, Thailand und Vietnam. Bestrebungen sind zudem im Gang, um die Abkommen mit Mexiko und der Südafrikanischen Zollunion (SACU) zu überarbeiten. Die Modernisierung des Abkommens mit Chile wurde erfolgreich abgeschlossen. Die Schweiz führt ausserdem Modernisierungsverhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen mit Grossbritannien und Vorbereitungsarbeiten für die Modernisierung des Abkommens mit China wurden aufgenommen.

Frage: Welche Bedeutung kommt den in der Schweiz stark vertretenen Rohstoffhändlern in dieser Globalisierung zu?

Antwort: Die Schweiz ist einer der wichtigsten Standorte im internationalen Rohstoffhandel. Laut einer Studie von 2018 kontrollieren die in der Schweiz ansässigen Rohstoffhändler einen Drittel des weltweiten Rohölhandels, rund zwei Drittel des Metallhandels und zwischen 35% und 60% des Handels mit Agrarrohstoffen. Möglicherweise sind diese Zahlen durch die jüngsten politischen Unsicherheiten und insbesondere die Sanktionspolitik gegenüber Russland nicht mehr ganz zutreffend. Dieser Sektor, der die Verbindung zwischen Produktion, Verarbeitung und Verbrauch der Rohstoffe sicherstellt, spielt eine zentrale Rolle in den weltweiten Versorgungsketten für die Wirtschaft und die Industrie. Es liegt im Interesse der Schweiz, bestmögliche Rahmenbedingungen zu bieten. Die starke Präsenz der Rohstoffhändler in der Schweiz zeigt, dass dies heute der Fall ist. Sie zählen zu den grössten Unternehmen unseres Landes und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung und zum Steuersubstrat in mehreren Schweizer Kantonen wie Genf, Zürich, Zug und Tessin, wofür wir ihnen dankbar sein können.

Frage: Wie berücksichtigen Sie ihre Interessen in den Handelsgesprächen?

Antwort: Bei den Aushandlungen von Freihandelsabkommen berücksichtigen wir die Interessen aller Branchen in der Schweiz und pflegen einen regelmässigen Austausch mit den Unternehmen. Eine wichtige Funktion der Freihandelsabkommen besteht darin, die allgemeine Rechtssicherheit zu verbessern und die Vorhersehbarkeit für unsere Unternehmen zu steigern. Davon profitieren alle Wirtschaftssektoren, auch jene, die nicht direkt Waren in die Schweiz importieren oder aus ihr exportieren.

Frage: Bleibt die Schweiz attraktiv genug, um diese Akteure auf ihrem Gebiet zu behalten?

Antwort: Die Schweiz bietet einen attraktiven Wirtschaftsstandort und setzt sich für optimale Rahmenbedingungen für alle Wirtschaftszweige ein. Neben den erwähnten multi- und bilateralen Massnahmen unternimmt die Schweiz alles, um ihre Einbindung in die weltweiten Wertschöpfungsketten weiter zu stärken. Zu erwähnen ist etwa die Aufhebung der Industriezölle per 1. Januar 2024 oder die laufende Digitalisierung der Zollverfahren. Das Umfeld und die Lebensqualität in unserem Land sind weitere Anziehungsfaktoren für Wirtschaftsakteure. Dies belegt auch das internationale Mercer-Ranking der lebenswertesten Städte der Welt, in dem Zürich und Genf auf dem 2. bzw. 5. Rang liegen.

Frage: Die Bauernproteste in Europa und in geringerem Mass in der Schweiz haben die Regulierungslast aufgezeigt, mit der diese Betriebe konfrontiert sind. Beklagen sie sich zu Recht? Falls ja, wie lässt sich diese Last erleichtern? Alle Unternehmen klagen über die zunehmende Normenlast.

Antwort: Bei Unternehmen durchgeführte Umfragen wie der Bürokratiemonitor zeigen, dass die administrative Belastung im Zusammenhang mit den Regulierungen eine der Hauptsorgen der Unternehmen ist. Aus der jüngsten Umfrage geht hervor, dass die administrative Belastung in der Schweiz als hoch wahrgenommen wird, obwohl sie im Vergleich zur vorangehenden Umfrage leicht zurückgegangen ist. Um die Belastung der Unternehmen weiter zu reduzieren, hat das Parlament am 29. September 2023 das Unternehmensentlastungsgesetz (UEG) verabschiedet. Mit den darin enthaltenen Massnahmen soll das UEG die Regulierungslast sowohl bei den neuen als auch bei bestehenden Regulierungen erleichtern. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Bund mit der Online-Plattform EasyGov.swiss einen digitalen Schalter für die Unternehmen anbietet. EasyGov macht die administrativen Verfahren einfach, rasch und effizient.