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Von Richard Holtum, CEO of Trafigura

An der COP28 in Dubai verpflichteten sich mehr als 120 Länder, bis zum Ende des Jahrzehnts die weltweite Kapazität an erneuerbaren Energien zu verdreifachen und die durchschnittliche jährliche Energieeinsparung zu verdoppeln. 

Dies sind wahrscheinlich die zwei wichtigsten Verpflichtungen der erwähnten Konferenz. Analysten schätzen, dass mit beiden Massnahmen zusammen fast drei Viertel der bis 2030 erforderlichen Emissionsreduktionen erreicht werden könnten, was dem „Netto Null“-Ziel der Internationalen Energieagentur entspricht (1).

Dieses Ziel scheint nun erreichbar. Unter der Führung Chinas stieg der Zubau an Kapazitäten für erneuerbare Energien im vergangenen Jahr um 64% auf fast 515 Gigawatt an. Dieses Wachstum dürfte sich auch fortsetzen.

Unseren Schätzungen zufolge wird in diesem Jahr zum ersten Mal die Produktionskapazität der erneuerbaren Energien jene der Kohlenstoffe übersteigen: Bis 2030 sollen erneuerbare Energien 45% der weltweiten Stromerzeugung ausmachen, bis 2050 sogar 69%. 

Aber was bedeutet der Übergang von einem kohlenwasserstoffdominierten zu einem hauptsächlich elektrischen Energiesystem für die Rohstoffmärkte und für unsere Industrie im Allgemeinen?

Einige Antworten sind offensichtlicher als andere. Sie sind aber alle relevant für unsere Zukunft und für die Art und Weise, wie wir die Welt mit CO2-armer Nahrung, Bausubstanz und Kraftstoff versorgen.

Den zukünftigen Energiebedarf abzuschätzen, ist keine leichte Aufgabe. Der rasante technologische Wandel macht eine Prognose noch herausfordernder.

Ein Beispiel ist die künstliche Intelligenz. Das Lernen von KI-Modellen, insbesondere von solchen, die zur Sprachverarbeitung oder Bilderkennung eingesetzt werden, erfordert grosse Mengen an Energie, um die Computerkomponenten zu kühlen. Laut einer aktuellen Studie könnte KI bis zum Jahr 2027 so viel Energie verbrauchen wie ein Land von der Grösse der Niederlande (2).

Auch werden Liefer- und Versorgungsketten aufgrund der zunehmend komplexen geopolitischen Lage neu ausgerichtet. Dies führt zu strategischen Standortverlagerungen, auch «near-shoring» oder «friend-shoring» genannt, die sich auf den lokalen Energiebedarf auswirken.

Der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien wird zu einer starken Nachfrage nach verschiedenen Metallen führen, insbesondere nach Kupfer und Aluminium, die aufgrund ihrer hohen elektrischen Leitfähigkeit für den Netzausbau von entscheidender Bedeutung sind. Auch Zink und Stahl dürften von der steigenden Nachfrage betroffen sein.

Um den erwarteten Anstieg des Strombedarfs zu decken, muss beispielsweise die Länge der Stromleitungen weltweit von 81 Millionen Kilometern im Jahr 2020 auf 109 Millionen Kilometer bis 2030 erhöht werden, dies entspricht einem Wachstum von 35%.

Derzeit werden jährlich zwischen 3 und 4 Millionen Tonnen Kupfer und Aluminium für den Ausbau des Stromnetzes verwendet. Unseren Recherchen zufolge muss diese Zahl bis 2030 auf 10 Millionen Tonnen und bis 2040 auf 14 Millionen Tonnen ansteigen. Es fehlen jedoch momentan neue Minen, die diese Produktionskapazität gewährleisten könnten.

Mehr erneuerbare Energie bedeutet auch weniger Netzstabilität, da Wind- und Sonnenenergie sehr inkonstant erzeugt werden. Um Angebot und Nachfrage bei Wetterumschwüngen auszugleichen, dürfte Gas zunehmend als flexible Energiequelle dienen. Dies zumindest bis Energiespeicher und andere Lösungen diese Schwankungen überbrücken können.

Auch unsere Vorstellung von Gas könnte sich in Zukunft ändern. Der Begriff „Gas“ könnte auch auf erneuerbaren Wasserstoff, Biomethan oder Erdgas mit Kohlenstofferfassung ausgedehnt werden. Erdgas wird unserer Ansicht nach die nächste Phase der Energiewende vorantreiben.

Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach Gas bis 2030 um 15% und bis 2050 um 42% steigen wird (gegenüber dem Stand von 2020). Gas wird Kohle bei der Stromerzeugung nach und nach ersetzen.

Wir erwarten einen drastischen Rückgang der Nachfrage nach thermischer Kohle. Bis 2030 soll sie um 13% und bis 2050 um 80% sinken (gegenüber dem Stand von 2020). Der Grossteil der Kohlenachfrage dürfte durch Gas ersetzt werden, solange dessen Preis erschwinglich bleibt.

Im Hinblick auf diese Projektionen haben wir viel Zeit und Ressourcen in den Ausbau und die Neuausrichtung unserer Handelsbereiche Gas, Strom und erneuerbare Energien investiert. Diese Geschäftszweige haben sich nun neben Öl und Ölprodukten sowie Metallen und Mineralien zum dritten Standbein von Trafigura entwickelt.

2022 haben wir mit Deutschland einen Vertrag abgeschlossen, in dem wir uns verpflichten, es über vier Jahre mit grossen Mengen Erdgas zu versorgen. Wir können dabei auf unser weltweites Netzwerk zurückgreifen, zu welchem auch Partnerschaften mit den grössten US-amerikanischen Produzenten von flüssigem Erdgas (LNG) gehören.

Wir verstehen unsere LNG-Versorgung als eine virtuelle Pipeline, die Erzeuger und Verbraucher auf der ganzen Welt miteinander verbindet und eine flexible und sichere Versorgungskette bildet, die wir an allen Schnittstellen kontrollieren können.

Über unser Pipelinenetz in den USA können wir zum Beispiel Gas aus Texas und New Mexico zu den Verflüssigungsanlagen an der Golfküste transportieren. Das Gas wird dann über den Atlantik zu den Wiederverdampfungsanlagen in Europa transportiert, wo es gelagert oder an Kunden wie grosse Stromerzeuger weitergereicht wird.

Dank unseres Stromgeschäfts können wir diese Energie bedarfsgerecht an Grossverbraucher abliefern. Wir sehen unser Angebot an Strom als wichtigen Bestandteil der europäischen Stromversorgung. Zu diesem Zweck haben wir eine 24/7-Stromhandelsplattform in Kopenhagen aufgebaut, die unsere bestehenden Teams in Singapur, der Schweiz und den USA unterstützt.

Energiemärkte sind komplex. Ihr Verständnis erfordert die Fähigkeit, riesige Datenmengen zu verarbeiten und zu analysieren. Bei Trafigura verfügen wir nun über ein Team von „Datenwissenschaftlern“ und eine spezialisierte Forschungsinfrastruktur, mit der wir täglich Milliarden von Daten verarbeiten und analysieren.

Uns ist bewusst, dass nicht alle Industriezweige gleichermassen, elektrifiziert werden können. Dies liegt unter anderem an technologischen und sonstigen Beschränkungen. Einige Industriezweige, wie die Stahl-, Chemie- und Zementindustrie, sind nach wie vor schwer von der auf fossile Kraftstoffe ausgerichteten Produktion abzukoppeln. Hierfür werden unterschiedliche und innovative Lösungen erforderlich sein.

Aus erneuerbarer Energie gewonnener Wasserstoff könnte ein Ansatz dafür sein. Wir entwickeln deshalb in Dänemark eines der grössten Projekte zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Europa.

Dies sind nur einige Beispiele für unsere Geschäftstätigkeit in einem immer komplexeren, von Geopolitik und Regulierung geprägten Umfeld.

Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Zukunft kann nicht sofort erfolgen. Er wird mehrere Energieformen sowie verschiedene Technologien und Lösungen (wie die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre) umfassen. Eines ist jedoch offensichtlich: dies alles kann nicht ohne die hochspezialisierten Dienstleistungen und das Fachwissen unserer Rohstoffhandelsindustrie geschehen.

Sources

(1) www.carbinbrief.org
(2) research.vu.nl